Erfahrungsbericht und aktuelle Konferenz zu Flipped Classroom 2


Flipped Classroom – auch Inverted Classroom (“umgedrehter Unterricht“) genannt – steht für ein Lehrveranstaltungskonzept, bei dem die Wissensvermittlung aus der Präsenzlehrveranstaltung in Phasen des online-basierten Selbststudiums verschoben wird. Im Gegenzug werden die Phasen des Übens und Vertiefens, die üblicherweise allein zu Hause stattfinden, in die Präsenzlehrveranstaltung verlagert. Damit die Lernenden sich das Wissen zu einzelnen Kapiteln/ Themen selbst aneignen können, werden ihnen gezielt aufbereitete Videos, Skripte oder Wikiseiten, gegebenenfalls kombiniert mit Online-Aufgaben und Selbttests, bereitgestellt. In der Präsenzveranstaltung ist nun mehr Freiraum für aktivierende und dialogorientierte Lehrmethoden zur Verfügung, um das neu Gelernte anzuwenden.
Phasenvergleich zwischen „normaler“ Veranstaltung und Flipped Classroom (Oliver Tacke, flickr.com)

Phasenvergleich zwischen „normaler“ Veranstaltung und Flipped Classroom (Oliver Tacke, flickr.com)

Ausführliche Informationen zu den Gestaltungsmöglichkeiten, Mehrwerten und auch Herausforderungen des Flipped Classroom Konzepts finden Sie auf e-teaching.org, im Inverted Classroom Wiki der Freien Universität Berlin sowie beim SKILL der FH St. Pölten (Service- und Kompetenzzentrum für Innovatives Lehren und Lernen).

Ebenso empfehlenswert ist der Austausch mit Lehrenden der TU Darmstadt, die bereits Erfahrungen mit dem Flipped Classroom Modell gesammelt haben, wie beispielsweise Frau Prof. Andrieu-Brunsen aus der Chemie, Herr Prof. Enders aus der Physik, Herr Prof. Seyfarth aus der Sportwissenschaft oder Frau Dr. Rädel aus dem Bauingenieurwesen. Frau Rädel gibt im folgenden Gastbeitrag einen Einblick in ihre Flipped Classroom Erfahrungen.

Erste Erfahrungen mit der Umsetzung von ICM-Elementen im Masterstudiengang Bauingenieurwesen

Gastbeitrag aus der Lehrpraxis von Felicitas Rädel

Lehrveranstaltungskonzept

Im Sommersemester 2015 wurde die Veranstaltung „Ausgewählte Kapitel aus dem Verbund- und Leichtbau“ (Modul im Masterstudiengang Bauingenieurwesen) erstmalig mit Bestandteilen des Inverted-Classroom-Modells (ICM) angeboten. Hierbei war insbesondere Folgendes zu bedenken:

Die Veranstaltung mit 6 CPs liegt im Stundenplan an zwei direkt aufeinanderfolgenden Tagen. Es wurde daher als sinnvoll erachtet, nur einmal pro Woche Arbeitsmaterial zur Verfügung zu stellen, welches vorab von den Studierenden bearbeitet werden sollte. Aufgrund der guten Erfahrungen mit externen Referenten, die im Rahmen der Lehrveranstaltung traditionell einzelne Themen vorstellen, sollten deren Vorlesungen zudem beibehalten werden. Es ergab sich dadurch eine Mischung von ICM-Veranstaltungen, klassischen Vorlesungen und Vorträgen durch externe Referenten.

Als Online-Plattform wurde ein lehrveranstaltungsinternes WIKI gewählt. Auf diesem wurden zunächst die Arbeitsunterlagen für die Studierenden zur Verfügung gestellt. Außerdem wurden während des Semesters von den Studierenden in Partnerarbeit eigene WIKI-Seiten zu selbst gewählten Themen erstellt. Diese ersetzten die in früheren Jahren üblichen Poster. Über ein Peer-Review-Verfahren wurden die studentischen WIKI-Seiten von mehreren Kommilitonen hinsichtlich Form und Inhalt bewertet und zu Semesterende allen Mitstudierenden und Lehrenden präsentiert.

Zu jeder ICM-Veranstaltung wurde eine zugehörige Seite im WIKI erstellt. Darauf wurden alle Arbeitsunterlagen, die zur Vorbereitung auf die Präsenzveranstaltung notwendig waren, zur Verfügung gestellt. Je nach Thema und vorhandenem Material bestanden die Seiten aus komplett neu erstellten Online-Inhalten, aus einzelnen Abschnitten von Vorlesungsaufzeichnungen, aus verlinkten Fachartikeln oder Skriptauszügen. Am Ende jeder Seite wurden mehrere Verständnisfragen gestellt. Diese sollten den Studierenden die Möglichkeit geben, ihr selbst angeeignetes Wissen zu überprüfen.

Die Präsenzphase lief über das gesamte Semester hindurch ungefähr gleich ab. Der erste Teil diente jeweils dem Klären offener Fragen und wurde mit Hilfe der Think-Pair-Share-Methode durchgeführt. Dazu notierten sich die Studierenden mit Hilfe eines Fragebogens zunächst in Einzelarbeit die wesentlichen Punkte, die sie bei der Bearbeitung der Arbeitsmaterialien verstanden hatten bzw. nicht verstanden hatten (Think). Anschließend fand eine Diskussion in Zweiergruppen statt, bei der die noch offenen Fragen untereinander diskutiert und im Idealfall geklärt wurden (Pair). Am Ende dieser Phase schrieben die Zweiergruppen jeweils ihre wichtigste gemeinsame noch zu klärende Frage auf eine Karteikarte. Die Karten wurden dann von den Lehrenden eingesammelt und an der Tafel nach Themen sortiert. In der abschließenden Share-Phase wurden die auf den Karteikarten genannten Fragen von den Lehrenden beantwortet bzw. im Plenum diskutiert. Der zweite Teil der Präsenzveranstaltung diente der Anwendung und Vertiefung des Gelernten. Dazu wurde eine Übungsaufgabe ausgeteilt, die von den Studierenden in Einzel- oder Partnerarbeit bearbeitet wurde. Die Lehrenden standen den Studierenden dabei als Ansprechpartner zur Verfügung.

Als semesterbegleitende Studienleistung hatten die Studierenden die Aufgabe, in Zweiergruppen eine eigene WIKI-Seite zu erstellen. Ziel dieser Aufgabe war es, sich vertieft mit einem speziellen Thema auseinanderzusetzen und dieses den Kommilitonen verständlich zu präsentieren. Im Rahmen einer Präsenzveranstaltung wurden die wesentlichen Randbedingungen und Informationen zum Erstellen einer WIKI-Seite erläutert, alle weiteren Informationen wurden im WIKI zur Verfügung gestellt. Nach der vorläufigen Fertigstellung der studentischen Seiten wurden diese über ein Peer-Review-Verfahren von den Kommilitonen bewertet. Mit Hilfe eines vorgegebenen Bewertungsschemas wurden der Inhalt und das Layout der Seiten kommentiert sowie Verbesserungsvorschläge gemacht. Anschließend hatten die Studierenden die Möglichkeit, ihre eigenen Seiten anhand der Bewertungen zu überarbeiten, bevor sie am Semesterende allen Studierenden und den Lehrenden im Rahmen einer Präsentation vorgestellt und von den Lehrenden bewertet wurden.

Herausforderungen bei der Durchführung

Eine Herausforderung war das Abschätzen der passenden Menge und Schwierigkeit des zur Verfügung gestellten Lehrmaterials. Hier wurde zu Beginn zu viel Stoff auf die WIKI-Seiten gestellt. Dies führte dazu, dass die Studierenden länger als gedacht mit der Vorbereitung zu tun hatten oder alternativ nicht alle Unterlagen durchgearbeitet haben. Als Folge dessen nahm das Klären offener Fragen im Plenum die komplette zur Verfügung stehende Zeit in Anspruch und es blieb keine Zeit für vertiefende Diskussionen und Übungsaufgaben.

Zudem waren einige wenige Studierende in den Selbstarbeitsphasen am Anfang der Präsenzzeit damit beschäftigt, die WIKI-Seite zu lesen und beteiligten sich nicht an der Diskussion. Von ihnen wurden auch keine Fragen für das Plenum formuliert. Auf Nachfrage wurde den Lehrenden mehrfach mitgeteilt, dass sie keine Fragen hätten. Hier handelte es sich insbesondere um internationale Studierende, die vermutlich unvorbereitet in die Lehrveranstaltung kamen und auf Grund der sprachlichen Schwierigkeiten und der Verbindung zu traditionellen Lehrmethoden mit Frontalunterricht größere Probleme mit dem Lehrkonzept haben als ihre deutschen Kommilitonen.

Evaluation

Neben zahlreichen semesterbegleitenden Evaluationen wurden die Studierenden in der letzten Semesterwoche zu ihren grundsätzlichen Erfahrungen mit dem Inverted-Classroom-Modell befragt. Dabei ergab sich ein recht eindeutiges Bild. Die Mehrheit der Befragten gab an, durch das ICM mehr Zeit investiert zu haben, aber auch mehr gelernt zu haben.

Auf die Frage, welche Lehrmethode sie für eine Veranstaltung im Masterstudiengang bevorzugen, sprachen sich 2/3 der Studierenden für das ICM aus, 1/3 für eine traditionelle Lehrveranstaltung. Zwei Studierende schrieben, dass sie eine Mischung aus beiden Methoden bevorzugen.

Von den Studierenden wurde neben dem Lehrkonzept an sich vor allem die die ausgeprägte Interaktion zwischen engagierten Lehrenden und Studierenden sehr positiv hervorgehoben. Als Verbesserungsvorschlag wurde insbesondere genannt, noch mehr Zeit für Übungsaufgaben zur Verfügung zu haben.

Zusammenfassung und Ausblick

Aufgrund der guten ersten Erfahrungen wird das Konzept im kommenden Jahr auf jeden Fall weiter fortgeführt. Um die anfänglichen Probleme hinsichtlich der Stoffmenge und der damit verbundenen vielen offenen Fragen zu lösen, sind eine Überarbeitung der Arbeitsmaterialien sowie eine Konzentration auf etwas weniger Themen notwendig. Die diesbezüglich positive Rückmeldung der Studierenden spricht dafür, auch den Wechsel zwischen ICM und traditioneller Lehrveranstaltung durch externe Referenten weiterhin beizubehalten. So werden auch die Studierenden berücksichtigt, die eine traditionelle Lehrveranstaltung bevorzugen.

Konferenz “Inverted Classroom and beyond 2016” in St. Pölten

Am 23. & 24. Februar 2016, veranstaltet von der FH St. Pölten, von der Universität Marburg und von der Pädagogischen Hochschule Niederösterreich
Tipp: Auch wer nicht bei der Konferenz persönlich dabei sein kann, kann dieser ein Stück weit folgen und sich Anregungen holen. Denn von allen, die zur Konferenz einen Inhaltsbeitrag in Form von Keynote oder Workshop leisten, wurde vorbereitend ein Blogbeitrag und ein mit Video aufgezeichnetes Gespräch mit den Konferenzorganisatoren bereitgestellt, in denen von den eigenen Erfahrungen bzw. Erkenntnissen berichtet wird. Ebenso werden die Keynotes per Livestream übertragen.
 Auch Frau Rädel wird bei der ICM-Konferenz einen Workshop anbieten –> ausführlicher Artikel im Tagungsband zu ihren Erfahrungen | Vorab-Interview

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