Peer Instruction: Lernen durch Diskutieren


Im letzten E-Learning Stammtisch am 19.01.2017 hatten wir das Glück bei der Übung zur Lehrveranstaltung „Sensortechnik“ dabei zu sein, die von Prof. Dr. Mario Kupnik gehalten und von Dipl.-Ing. Jürgen Hielscher betreut wird, um zu beobachten wie dort die Methode „Peer Instruction“ mit Hilfe eines Live-Abstimmsystems angewendet wird. Im folgenden Erfahrungsbericht stellt uns Herr Hielscher noch einmal dar, wie er und Prof. Kupnik die Methodik durchführen und welche Erkenntnisse und Erfahrungen sie bisher dabei sammeln konnten.

 

Ein Erfahrungsbericht von Dipl.-Ing. Jürgen Hielscher aus der Lehrveranstaltung „Sensortechnik“

Die Idee von Peer Instruction

Peer Instruction ist eine interaktive Lehrmethode, die eng mit der Idee des Flipped Classroom verbunden ist. Sie wurde von Eric Mazur, Professor an der Harvard University, entwickelt und erstmals in seinen Physikvorlesungen eingesetzt. In Interviews beschreibt er seine Erfahrungen mit Peer Instruction  aber auch aus der Zeit davor:
Der „Curse of Knowledge“ befällt viele Lehrende früher oder später. – Aufgrund seiner Erfahrung empfindet der Lehrende die Inhalte als simpel und erkennt schwierige Zusammenhänge nicht mehr. Deshalb ist er bei Verständnisproblemen nicht immer der richtige  Ansprechpartner, würde er doch seine Erläuterung aus der Vorlesung nur mit anderer Wortwahl wiederholen. Hinzu kommt bei vielen Studierenden das Schamgefühl, die eigenen Verständnisprobleme gegenüber dem Professor einzugestehen. Ganz natürlich ist es doch, die Kommilitonen zu fragen. Mancher hat den Zusammenhang selbst soeben erst begriffen und kann ihn mit den eigenen Worten schneller und nachhaltiger erklären als jeder Professor.

Diese Idee in den Hörsaal zu bringen ist die Idee von Peer Instruction – die Studierenden bringen sich den Stoff gegenseitig bei.

 

Peer Instruction in der Veranstaltung „Sensortechnik“

Wir haben Peer Instruction im Wintersemester 2016/17 zum zweiten Mal in der Lehrveranstaltung „Sensortechnik“ angewendet. Diese besteht aus der Vorlesung (2 SWS) und der Übung (1 SWS). Das Vermitteln der Inhalte findet meistens klassisch in Form einer Vorlesung statt, es werden aber auch Unterlagen und  Videos aus anderen Vorlesungen zur Vorbereitung bereitgestellt. Für die Durchführung der Peer Instruction Einheiten nutzen wir die Präsenzübung, die flexibel vor oder nach der Vorlesung platziert wird. So erreichen wir eine gute Abstimmung von Übung und Vorlesung.

Zu Beginn wird eine kontextbezogene Multiple Choice Aufgabe gestellt. Die Studierenden versuchen diese zunächst selbstständig und ohne Hilfe zu lösen. Die darauf folgende Abstimmung ist ein wichtiges Element der Lehrmethode: Durch die Stimmabgabe muss sich jeder Einzelne auf eine Antwort festlegen. Wir nutzen das Web-basierte Live-Abstimmungssystem invote. Die Stimmabgabe erfolgt schnell und unkompliziert über den Browser des Smartphones.

Anschließend haben die Studierenden die Möglichkeit, mit ihren Nachbarn zu diskutieren und die Lösungen gegenseitig zu hinterfragen. Wir fordern die Studierenden auf, den Sitzplatz zu verlassen und möglichst viele Kommilitonen von der eigenen Lösung zu überzeugen. Die  anschließende zweite Abstimmung zeigt in der Regel eine deutliche Tendenz hin zur richtigen Antwort und somit, dass die Studierenden sich gegenseitig etwas beibringen. Auf diese Weise behandeln wir drei bis vier Aufgaben in einer Übungseinheit.

 

Erkenntnisse und Erfahrungen

Ganz entscheidend für das Abstimmungsergebnis und die nachfolgende Diskussion ist die Anonymität der Abstimmung. Die Stimmabgabe per Smartphone erfolgt möglichst verdeckt, wir zeigen kein Zwischenergebnis. Nur so wird ein Herdenverhalten, wie z.B. beim klassischen Handheben, vermieden. Seit diesem Semester zeigen wir beide Ergebnisse erst nach der zweiten Abstimmung, um die Diskussion möglichst wenig zu beeinflussen.

Der Lehrende kann die Abstimmung auf seinem Gerät live verfolgen und sieht, wann alle Stimmen eingegangen sind. Außerdem lässt sich erkennen, wie viele die Aufgabe im ersten Durchgang richtig beantworten konnten. Liegt deren Anteil zwischen 30% und 70%, funktioniert Peer Instruction am besten. Kennen zu wenige Studierende die Lösung des Problems, entwickelt sich keine fruchtbare Diskussion, die richtige Antwort setzt sich nicht durch. Das Thema wird dann gemeinsam besprochen oder in der Vorlesung vertieft. Wissen mehr als 70% die richtige Antwort, war die Frage keine Herausforderung. Eine kurze Diskussion von wenigen Minuten genügt dann, bis es alle verstanden haben.

Auf die Aufgabenstellung kommt es an

Daran zeigt sich die Bedeutung von Auswahl und Formulierung der Aufgabenstellung. Sie muss klar verständlich sein und eine eindeutige Lösung haben. Sie muss herausfordern, darf aber nicht überfordern. Die ideale Aufgabe regt zum Nachdenken und Grübeln an. Sie fragt zwar neue Inhalte der Vorlesung ab, provoziert aber zur Lösung die Anwendung des Grundlagenwissens. So wird der neue Inhalt mit bekanntem Wissen verflochten und dauerhaft gelernt. Schließlich löst eine gute Aufgabe eine lebhafte Diskussion und somit die eigentliche Peer Instruction aus.

 

Und was halten die Studierenden davon?

Wir sehen eine konstant hohe Anwesenheit in der Lehrveranstaltung und erhalten durchwegs positive Rückmeldung über die Lehrveranstaltungsevaluation. Aber wirklich zufrieden sind wir, wenn es laut wird im Hörsaal. Wenn die Studierenden lebhaft diskutieren und debattieren. Wenn sie grübeln, argumentieren, überzeugen oder überzeugt werden. Wenn wir den Aha-Effekt sehen. Dann wissen wir, dass zehn Minuten Peer Instruction wertvoller sind als eine Stunde Vorrechnen.

 

 

Noch ein Tipp passend zum Thema:
Ein Live-Abstimmsystem kann nicht nur hilfreich bei der Peer Instruction sein – wie im Erfahrungsbericht von Herrn Hielscher beschrieben. Es kann auch auch generell gut genutzt werden, um Präsenzlehrveranstaltungen (insbesondere Vorlesungen) interaktiver zu gestalten und Studierende zum Mitdenken und „Dranbleiben“ anzuregen. Mit Wissens- und Verständnisfragen beispielsweise zu Beginn der Lehrveranstaltung kann Vorwissen aktiviert werden, um im weiteren Verlauf daran anzuknüpfen. Stellt man den Studierenden per Live-Abstimmung Fragen zum Ende der Lehrveranstaltung oder am Ende einer Inhaltseinheit können diese gut für sich selbst überprüfen, was sie verstanden und „mitgenommen“ haben oder eben auch nicht.

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