Wie (Lehramts-)Studierende zu Wikibookautor*innen werden


Gastbeitrag aus der Lehrpraxis im Institut Allgemeine Pädagogik & Berufspädagogik von Franco Rau

 

Wikibookautor*in? Eine Vorbemerkung zur Begründung des Projektes

© Marco Wolf (CC BY-SA-NC)

© Marco Wolf (CC BY-SA-NC)

Regelmäßig nutzen etwa drei von vier deutschen Onlinern die Wikipedia als Nachschlagewerk, zum Nachlesen von Informationen. Hingegen gestalten weniger als einer von hundert deutschen Onlinern mit.Gemeint sind Formen der Aktualisierung oder der Diskussion von Artikeln. Die Tendenz zur aktiven Beteiligung ist fallend.

Eine ähnliche Entwicklung findet sich übrigens auch bei den Schwesterprojekten der Wikipedia wie z. B. Wikiversity.org oder Wikibooks.org. Vor dem Hintergrund, dass kollaborative Gemeinschaftsprojekte wie die Wikipedia oder Wikibooks von der Beteiligung von Menschen „leben“, kann diese Tendenz durchaus beunruhigend wirken.

Die bildungspolitische Forderung, Medienkompetenz als vierte Kulturtechnik anzuerkennen, existiert nicht erst seit kurzem. Der Bericht der Expertenkommission des BMBF zur Medienbildung markierte bereits im Jahr 2010 die Fähigkeit, „sich bei der Herstellung von Produkten und Dienstleistungen auf (virtuelle) Gemeinschaften stützen und sich an deren Entstehung, Erhalt und Verbreitung beteiligen“, als eine Facette von Medienbildung in einer digital geprägten Kultur. Ein institutioneller Lernort wie eine Technische Universität muss sich – folgt man den Ausführungen des Expertenberichtes – der Aufgabe stellen, die Medienbildung der Lernenden zu stärken.

Diesem Ansatz folgend, d.h. digitale Medien in der Lehre nicht auf ihren Werkzeugcharakter zu reduzieren, sondern die Mitarbeit in einer digitalen Gemeinschaft als Bildungserfahrung zu ermöglichen, war ein zentrales Anliegen des Projektes „Lehren, Lernen und Bildung metaphorisch verstehen? Ein kollaboratives Wikibookprojekt“.

Vermittlung von Fach- und Medienkompetenz als (Lehr-)Ziele

Mit dem Veranstaltungskonzept wird das Ziel verfolgt, über das gemeinsame Entwickeln eines Wikibooks, die Entwicklung fachlicher und medienbezogener Kompetenzen von (Lehramts-)Studierenden zu unterstützen und einen produktiven Beitrag für eine offene und partizipative Kultur zu leisten. Zum Thema „Lehren, Lernen und Bildung metaphorisch verstehen?“ wird dafür in verschiedenen Veranstaltungen in den Grundwissenschaften des Lehramtsstudiums (Pflichtmodule 1 & 2, LAG 2009) sowie im Pädagogikstudiengang an einem offenen Wikibook gearbeitet. In Kooperation mit Nelson Gonçalves (ESE Viseu, Portugal) und Studierenden des Studiengangs „Artes Plásticas e Multimédia“ wird über die Erstellung von Animationen für das Wikibook zudem ein fach- und länderübergreifender Austausch zwischen Studierenden angestrebt.

Konkreter formuliert sollen Studierende auf fachlicher Ebene u. a. dazu befähigt werden, Vorstellungen über Vermittlungs- und Interaktionsprozesse für pädagogisches Handeln in Unterricht und
Schule unter Berücksichtigung didaktischer, lerntheoretischer und bildungstheoretischer Entwürfe zu analysieren, zu begründen und bewerten zu können.

Auf der Ebene medienbezogener Kompetenzen wurde u. a. das Ziel verfolgt, grundlegende Kenntnisse der kollaborativen Textentwicklung zu vermitteln und für die Bedeutung von Wissensproduktion in offenen Wiki-Gemeinschaften zu sensibilisieren. Studierende wurden in die Lage versetzt, kollaborativ erstellte Texte in Wikis hinsichtlich verschiedener Kriterien einschätzen und selbständig gestalten zu können.

Ein Veranstaltungskonzept zum Lernen mit und über Medien

Als Pilotprojekt begann die Erprobung des Konzeptes sowie die Erarbeitung des Wikibooks im Sommersemester 2015 in den zwei Veranstaltungen „Lehren und Lernen metaphorisch verstehen? Ein kollaboratives Wikibookprojekt“ (LAG & B.A. Pädagogik) sowie „Bildung metaphorisch verstehen? Ein kollaboratives Wikibookprojekt“ (LAG) als Blended-Learning-Ansatz mit jeweils drei Phasen:

  • Phase I: Entwicklung konzeptioneller Metaphern in Gruppen in Form von Wiki-Texten und Videonachrichten zur Artikulation der (alltagsbezogenen) Vorstellungen der Studierenden zum Thema „Lehren und Lernen (und Bildung)“. Die Rückmeldungen erfolgten durch die E-Tutorin und den Dozenten via Moodle. Kommentare der Wikibookcommunity wurden in den Präsenzphasen besprochen.
  • Phase II: Erarbeitung erziehungswissenschaftlicher Vorstellungen/„Denkwerkzeuge“ in Gruppen als theoretische Analysefolie (für die eigenen Metaphern) in Form von Wiki-Texten zum Thema „Lehren, Lernen und Bildung“. Die Erarbeitung erfolgte durch die Auseinandersetzung mit fachwissenschaftlicher Literatur. Erneut erfolgten Rückmeldungen durch die Tutorin und den Dozenten via Moodle. Kommentare der Wikibookcommunity wurden in den Präsenzveranstaltungen besprochen.
  • Phase III: Erstellung von (individuellen) Analysen der eigenen Vorstellungen/Metaphern (aus Phase I) mit Hilfe ausgewählter Kriterien/Kategorien der erarbeiteten erziehungswissenschaftlichen Vorstellungen/„Denkwerkzeuge“ (aus Phase II) in Form von eigenen Texten. Zur Diskussion und Überarbeitung der Entwürfe wurde erneut Moodle verwendet und die Veröffentlichung der je individuellen Analysen wurde frei gestellt.
Abb. 1: Visualisierung der drei Veranstaltungsphasen

Abb. 1: Visualisierung der drei Veranstaltungsphasen

Die Entscheidung zur Verwendung von Wikibooks.org und Moodle als E-/Blended-Learning-Elemente begründet sich dreifach:

  • (a) durch die Chance, Lernende durch die Produktion von medialen Artefakten aktiver in die Lehr-/Lernveranstaltung einzubinden,
  • (b) durch das Potenzial, die Grenzen geschlossener Hochschulkurse durch die Beteiligung an einer offenen Gemeinschaft zu überwinden
  • sowie (c) durch die Möglichkeit, verschiedene Formen der Kooperation, Kollaboration und des Feedbacks realisieren zu können.

Mit Hilfe des gewählten E-/Blended-Learning-Angebotes werden die formulierten Lehr-/Lernziele dabei in je unterschiedlicher Weise gefördert.

Eine Unterstützung der fachlichen Kompetenzentwicklung erfolgt u. a. durch die Verpflichtung, das eigene Denken in regelmäßigen Abständen schriftlich artikulieren und für das Wikibook aufbereiten zu müssen.Durch regelmäßiges Feedback über Moodle (in Form von Kommentaren und ausgefüllten Feedbackbögen) sowie der Möglichkeit, Rückmeldungen durch die Wikibook-Gemeinschaft einzuholen, kann eine Intensivierung der fachlichen Kompetenzentwicklung erfolgen.

Jenseits der verschiedenen Potenziale zum Lernen mit Medien bietet die Arbeit mit wikibooks.org die Chance zum Lernen über Medien. So nutzen viele Studierende Wiki-Systeme wie Wikipedia selbstverständlich als Informationsquelle. Zugleich sind die wenigsten Studierenden weder mit den Grundprinzipien von Wikis vertraut noch haben sich viele bisher selbst bei der Bearbeitung von Wikis eingebracht. Durch das Arbeiten mit einem Wiki eröffnet sich für die Studierenden ein „Blick hinter die Kulissen“ bekannter Wiki-Systeme und sie erhalten Einblicke in die (kollaborative) Wissensproduktion mit Hilfe von Wikis sowie in die Entwicklung und Produktion eines Buches.

Erste Erfahrungen zur Umsetzung des Projektes sind auf den folgenden Slides dokumentiert:

Herausforderungen & Rückmeldungen

In einer ersten Auswertung der Erfahrung des Sommersemesters zeigt sich, dass sich verschiedene Studierende sowohl intensiv mit fachlichen als auch medienbezogenen Facetten auseinandergesetzt haben. Die Herausforderung, sich in die Syntax eines Wikis einzuarbeiten, ist für unerfahrene Studierende nicht zu unterschätzen, wird aber durch das Angebot studienbegleitender Workshops zum Thema „Hands On Digital Media: Lernen und Studieren mit Wikipedia & Co“ versucht aufzufangen.

Als Gelungene Facetten der Veranstaltung haben verschiedene Studierende hervorgehoben, dass das Veranstaltungskonzept eine positive Abwechslung zu anderen Seminaren darstellt („Keine 08/15 Durchführung des Seminars“). Das Seminar eröffnete durch die gemeinsame Entwicklung eines Wikibooks neue Erfahrungen hinsichtlich der eigenen Textproduktion sowie Möglichkeiten zur Seminargestaltung. Der Aufbau und die Strukturierung des Seminars zur Auseinandersetzung mit den verschiedenen Themen und der Entwicklung entsprechender digitaler Produkte wurden in diesem Kontext von verschiedenen Studierenden als sinnvoll und lobenswert benannt. Ebenfalls häufig positiv erwähnten die Studierenden, die formulierten Rückmeldungen zu ihren Texten, welche ohne die Arbeit von den E-Learning-Tutorinnen Sophie Schaper im Sommersemester und Ann-Kathrin Steiner im aktuellen Wintersemester in der Form nicht möglich gewesen wäre.

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