Projekt „Multi-User VR – Grundlagenermittlung und Prototyp“


Gastbeitrag von Prof. Oliver Tessmann, Fachbereich Architektur

Das im Folgenden beschriebene Projekt konnte durch das Förderprogramm „Studentische E-Learning Experten“ unterstützt werden. Dieses wiederum ist Teil des hessenweiten Projekts HessenHub – Netzwerk digitale Hochschullehre.

Im Projekt „Multi-User VR  – Grundlagenermittlung und Prototyp“ wurde auf Basis von Mozilla Hubs eine dreidimensionale Multi-User Virtual Reality entwickelt, in der Lehrveranstaltungen für Kleingruppen stattfinden können. Hubs ist eine virtuelle Kollaborationsplattform und ein gemeinsamer virtueller Raum, der browserbasiert läuft und von der Non-Profit Organisation Mozilla Foundation entwickelt wurde. Mit Hubs ist es möglich, benutzerdefinierte 3D-Räume zu erstellen und Teilnehmende über einen Link zum Beitritt einzuladen. Es ist keine Installation oder Registrierung erforderlich.

Hubs erlaubt die Darstellung und das Teilen von Bildern, Videos, 3D-Modellen und mehr. Des Weiteren ermöglicht die Funktion der raumsensitiven Audiowiedergabe es, Gespräche im selben Raum sowohl in Klein-, als auch in Großgruppen zu führen. Mozilla Hubs funktioniert dabei plattformübergreifend mit VR-Headsets, Desktop-Computern, Laptops, Tablets oder mobilen Geräten.  Ziel des Projekts war es dabei nicht, die Infrastruktur für ein Multi-User VR System selber zu entwickeln, sondern vielmehr sollen mit Hilfe von Mozilla Hubs Grundlagen und Bedarfe ermittelt werden, die sich erst aus der Nutzung solcher Räume ergeben um zukünftig eigene Entwicklungen von Multi-User VR Systemen zielführend voranbringen zu können.

Das Projekt gliederte sich in vier Arbeitspakete:

AP1: Entwerfen und modellieren eigener 3D-Kursräume und Import in Hubs. Wie sieht virtuelle Architektur aus? Wie orientiert man sich? Wie schafft man Räume für formelle und informelle Kommunikation?

AP2: Multimediale Präsentationsformen (Folien, Bilder, Filme, Modelle) testen.

AP3: Importstrategien von 3D-Inhalten, die in Kursen gemeinschaftlich betrachtet werden (städtebauliche Modelle, digitale Rekonstruktionen, Maschinenbauteile, komplexe biologische Modelle von Enzymen, Molekülen, Roboticsimulationen). Hier erfolgt der Austausch TU-weit und fachbereichsübergreifend.

AP4: Ermittlung und Dokumentation der Potentiale von Multi-User VR in der Lehre (z.B. Seminare im Bereich Digitale Rekonstruktion oder Gebäudeentwurf o.ä.) mit Nutzung aller oben entwickelten Funktionen/Medienformate. Testen unterschiedlicher Geräte für die Nutzung VR Headsets, Google Cardboard, Tablet und Laptop etc.

Entwerfen und modellieren eigener 3D-Kursräume

Im Projekt wurde das zentrale Foyer des Architekturgebäudes auf der Lichtwiese modelliert. Der virtuelle Raum besteht aus dem öffentlichen Erdgeschossbereich, zwei Galerieebenen und den verbindenden Rampen und Treppen. Diese Räume dienen im physischen Gebäude der Erschließung der einzelnen Fachgebietsräume und studentischen Arbeitsräume, aber werden auch für Ausstellungen und Präsentationen genutzt.

Im virtuellen Modell sollten bewusst ähnliche Funktionen hier untergebracht werden, um die Navigation für Studierende zu erleichtern, die das Gebäude bereits kennen und gleichzeitig virtuellen Gästen einen Einblick in unser Haus zu geben. Die öffentlichen, virtuellen Bereiche dienten ebenfalls als Ausstellungsflächen für Bilder, Filme und dreidimensionale Objekte. Die Türen und Flure, die im Gebäude weitere Räume erschließen, führten in der Multi-User-VR Umgebung zu Räumen, in denen verschiedene dreidimensionale Datenformate und Repräsentationsformen getestet wurden.

Fotografie des Architekturgebäudes und Bildausschnitt des VR-Modells

Die Erstellung eines Mozilla-Hubs Raums erfolgt über den Editor Spoke (hubs.mozilla.com/spoke). Dieser wird ebenfalls kostenlos von den Entwicklern zur Verfügung gestellt. In diesem Editor lassen sich aus vorgefertigten und selbst importierten Modellen virtuelle Räume erzeugen. Spoke bietet dabei vielfältige Einstellungsmöglichkeiten. So lassen sich etwa der Startpunkt definieren, Inhalte verschiedenster Dateiformate einpflegen, sowie Einstellung der Audioeigenschaften von Objekten treffen. Über die Funktionsweise und Umfang von Spoke gibt es eine Dokumentation der Grundlagen, für weitergehende Fragen kann man auch direkt Kontakt zu den Entwickler*innen oder anderen Usern über einen Discord-Server nehmen.

Die 3D-Modellierung für Objekte, die man importieren möchte, kann mit allen gängigen Programmen erfolgen. Darunter z.B. auch Google Sketchup oder Modellierungssoftware anderer Branchen wie dem Maschienenbau. Jedoch ist ein Import in Mozilla Hubs bzw. Spoke nur über die Dateiformate .glb oder .glTF möglich und dürfen dabei eine Dateigröße von 128MB nicht überschreiten. Eine Transformation der Dateiformate war problemlos über die kostenlose Software Blender möglich.

Nach der Erstellung des virtuellen Raums auf Mozilla Spoke, kann dieser freigegeben und dann auf Mozilla Hubs veröffentlicht werden. Über eine erzeugte URL und einen Zugangsschlüssel kann der Raum dann von Nutzer*innen über den Browser oder ein VR-Headset betreten werden. Zu Beginn jeder Session muss dabei zunächst ein Avatar ausgewählt werden, dabei kann man aus einer Reihe von Comichaften Avataren wählen, die zum Teil auch ein Webcambild als Gesicht anzeigen. Mit diesem Avatar betritt man dann den Raum und kann dort mit anderen Personen interagieren.

Bei der Nutzung und der Erstellung gibt es jedoch auch einige Limitierungen. So ist es nur möglich mit 25 Personen gleichzeitig einen Raum zu betreten. Bei der Erstellung und Individualisierung eines Raumes gibt es große Unterschiede, ob man den Server selbst hostet oder die Dienstleistung von Mozilla Hubs in Anspruch nimmt. Ein eigengehosteter Server ermöglicht es den Mozilla Hubs Raum vollständig zu individualisieren und auch selbst neue Funktionen zu programmieren. Diese Funktionen stehen nicht zur Verfügung, wenn man den Server automatisch über Mozilla Hubs laufen lässt.

Multimediale Präsentationsformen

Die sehr direkte Übersetzung von physischen Räumen ins Digitale sollte eine leichte Orientierung ermöglichen. In diesen Sinne integrierten wir dann im nächsten Schritt Bilder und Videoformate auf den Galerieebenen, wie wir es aus dem physischen Gebäude kennen. Dies ermöglichte das gemeinsame Betrachten dieser Formate. Filme mit Ton können raumsensitiv und mit distanzbezogener Akustik eingestellt werden, so dass man die Tonspur nicht mehr hört, wenn man sich von der „Projektion“ entfernt. Diese Funktion ermöglicht das Ausstellen mehrerer Filme in einem größeren Raum. Spannend sind dabei die akustischen Überschneidungen mehrerer Tonquellen, die sich für experimentelle Klanginstallationen nutzen lassen. Dabei wird der Klangradius so eingestellt, dass er sich mit einem Klangradius einer anderen Tonquelle überschneidet. Die raumsensitive Akustik ermöglicht theoretisch private und informelle Kommunikation in Kleingruppen. In der Entwicklungsphase hat sich jedoch gezeigt, dass Hubs hier noch technische Defizite hat. Die Klangqualität lies zu wünschen übrig. Außerdem war die Verbindung zu den Mikrophonen der genutzten Geräte schwierig.

Importstrategien von 3D-Inhalten

Im Projekt sollte weiterhin untersucht werden, welche Formate und Inhalte integriert werden können, die in Videokonferenzsystemen nicht darstellbar sind. Dazu wurden einzelnen Räume des virtuellen Modells mit den folgenden Datenformaten und Repräsentationsformen bespielt. Durch die native Anbindung von Mozilla Hubs an Sktechfab, eine Online Plattform zum Austausch von 3D-Modellen, konnten wir schnell und einfach verschiedenste Formen der dreidimensionalen Repräsentation testen.

3D Objekte

Selbsterstellte und online verfügbare, texturierte 3D Objekte konnten in Mozilla Hubs integriert werden. Die VR-Umgebung ermöglicht die individuelle Betrachtung der Objekte in 3D. Dabei lässt sich der Maßstab der Objekte beliebig ändern, sodass neue Betrachtungsperspektiven entstehen.

Photogrammetriemodell

Als Beispiel für die Einbindung von Photogrammetriemodellen haben wir ein Modell des Tempels Eim ya kyaung in Myanmar genutzt. Dieses Modell war kostenlos über Sketchfab verfügbar. Durch das Fotografieren von Objekten aus verschiedenen Winkeln lassen sich sehr detailreiche und realistisch aussehende 3D-Modelle erstellen. Durch den hohen Detailgrad und das sich selbstständig durch den Raum bewegen entsteht eine sehr hohe Immersion.

Punktwolke

Als Beispiel für eine Punktwolke haben wir das Modell des Amphitheater Merida über Sketchfab importiert. Überraschend war hier, dass eine (zwar niedrig aufgelöste) aber trotzdem rechenintensive Punktwolke sehr flüssig dargestellt werden konnte.

Animiertes Robotermodell

Das Modell eines Industrieroboters zeigte die Kinematik des Modells in Bewegung. Das Beispiel zeigte die Möglichkeiten von Hubs für technische Schulungen und Lehrformate.

Hubs bietet weiterhin einfache Formen der Interaktion mit Objekten, die bislang eher prototypischen Charakter haben. So können mittels Gesten dreidimensionale Kurven in den Raum gezeichnet werden, die dann mit einem runden, farbigen Profil versehen werden. Die Formen erinnern an Zahnpastawürste und können eher spielerisch eingesetzt werden. Interessant ist, dass sie den Volumen und Konturen von 3D Objekten folgen können, so dass Nutzer beim Gestalten einen räumlichen Eindruck der Szenerie bekommen.

Ermittlung und Dokumentation der Potentiale von Multi-User VR in der Lehre

Die Multi-User VR Umgebung Mozilla Hubs bietet vielfältige Möglichkeiten eigene 3D Modelle aus unterschiedlichen Modellierungsprogrammen zu importieren und damit eigene virtuelle Räume zu gestalten. Darüber hinaus können neben Bildern und Videos die verschiedenen oben dargestellten Formate (Punktwolken, Photogrammetriemodelle, Animierte Objekte) eingebunden werden. Die raumsensitive Akustik ermöglicht es verschiedene Tonquellen räumlich zu verteilen. Zudem ist die Plattform von der Non-Profit Organisation Mozilla Foundation entwickelt worden und ist kostenfrei nutzbar.

Das Einbinden von 3D Formaten, die man selbstständig und auch gemeinschaftlich betrachten kann, bieten den größten Mehrwert gegenüber konventionellen Videokonferenzformaten. Diese Funktionalitäten können im Bereich Architekturentwurf, Archäologie, digitale Rekonstruktion und zur Vermittlung technischer Prozesse verwendet werden. Dabei ist besonders der Umgang mit dem Maßstab ein großer Vorteil des Virtuellen Raums, so lassen sich bei extremer Vergrößerung der zu betrachtenden Objekte alle Details bestens erkennen, im Gengenzug schafft eine extreme Verkleinerung der Objekte einen gesamtheitlichen Überblick über Modelle, den man sonst nur mit Drohnen oder ähnlichem erreichen würde.

Die Funktion der raumsensitiven Akustik kann digitalen Lehrformaten Vorteile bringen. Im Vergleich zu Videokonferenzformaten mit dedizierten Breakoutsessions für Kleingruppenarbeit, reicht es in der virtuellen Umgebung sich räumlich zu entfernen, um eine Kleingruppe zu bilden. Gleichzeitig ermöglicht die freie Bewegbarkeit im Raum auch, dass man bei einzelnen Gruppen einfach zuhören kann, bzw. auch bei mehreren Gruppen gleichzeitig mithören kann. Das schafft ein niederschwelliges Angebot der Partizipation. Enttäuschend war jedoch leider die Soundqualität bei der Nutzung der Mikrofone. Störgeräusche sowie Probleme bei der Einrichtung von Mikrofonen haben die Kommunikation stark beeinträchtigt. Hier wird man auf die weitere Entwicklung der Software warten müssen.  

Aktuell sind die größten Potentiale in der Darstellung von 3D Modellen als Ergänzung des Lehrinhaltes. Digitale Vorlesungen können so um anschauliche und erlebbar gemachte Modelle ergänzt werden und so in den verschiedensten Disziplinen zum besseren Verständnis des Lehrinhaltes beitragen. Komplexe Abläufe und Strukturen können zusätzlich auch durch animierte Modelle erfahrbar gemacht werden. In Seminaren kann Mozilla Hubs dazu verwendet werden, um digitale Modelle zu überprüfen und durch Perspektivwechsel neu zu entdecken. Gleichzeitig bietet sowohl die Vielfalt an medialen Inhalten wie auch die Möglichkeit der niederschwelligen Zusammenarbeit in Kleingruppen große Vorteile gegenüber herkömmlichen Videokonferenzformaten. Jedoch steht bei allen Formaten ein großer Zeitaufwand zum Erstellen von 3D-Modellen voran, sowie bei der Transformation zu Mozilla Hubs kompatiblen Dateiformaten. Lehrinhalte könnten aber auch an bereits existierenden 3D-Bibliotheken orientiert werden, sodass die Vorbereitungszeit sich drastisch reduziert. So gibt es von Google Arts and Culture eine große Bibliothek bereits digitalisierter Gebäude.

Exemplarischer Ablauf zur Erstellung einer selbstgestalteten Szene

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