Eindrücke von den WissensGemeinschaften 2011


Fotograf: Klaus Steitz

Wie bereits berichtet, fand letzte Woche in Dresden vom 05. – 08.09.  die Fachtagung „WissensGemeinschaften 2011“ statt. Hier möchten wir (Klaus Steitz und Anne Bieberstein) davon berichten und auf ein paar Eindrücke und Gedanken zurückblicken:

Wikipedia – ein Blick hinter die Kulissen …
lautete die Keynote von Stefan Kühn – aktiver Wikipedia-Administrator – am Montagabend zu Beginn der Tagung. Er berichtete, wie die Erfolgsgeschichte von Wikipedia im März 2001 begann. Inzwischen gibt’s Wikipedia in 260 Sprachen, wobei jedes Land eine eigene Entwicklung und keine Übersetzung ist.  In Spitzenzeiten besuchen ca. 53 Mio. Besucher pro Minute die Seite (625 MB/s Datenauslieferung, Server-Details). Würde man den aktuellen Gesamtumfang von Wikipedia in Buchbänden mit gleichen Formatierungen wie im Brockhaus ausdrücken, würde sich ein Verhältnis zwischen Brockhaus und Wikipedia von 30 : 675 Bändern ergeben. Sicherlich für manchen interessant war auch eine Übersicht vielfältiger Schwesterprojekte von Wikipedia, wie z. B. die Wikimedia Commons, welche frei verfügbare Mediendateien (Bilder, Filme etc.), zur Weiterverwendung geeignet, zusammenträgt und die Info, dass es nun einzelne Wikipedia-Beiträge in gesprochener Form als Audio zum Herunterladen gibt. Zum Abschluss zeigte Stefan Kühn noch das Video „The State of Wikipedia“ von Anfang des Jahres zum 10jährigen Wikipedia-Jubliäum. – Insgesamt durchaus beeindruckende Zahlen und auch manch interessante Info für all diejenigen, die bisher noch keinen Blick hinter die Kulissen von Wikipedia geworfen haben. Allerdings wurde doch so mancher im Auditorium das Gefühl nicht los, in einer Werbeveranstaltung zu sitzen  – was in diesem Fall ja nicht mal schlecht sein muss, denn jede konstruktive Beteiligung an der Community-Arbeit hinter Wikipedia kann doch nur gut sein. Oder?!
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Peer Review 2.0: Das GuttenPlag_Wiki
Passend zur Montags-Keynote berichtete Tim Bartel am Dienstagmorgen in seiner Keynote von der enormen Leistung der Social Community, welche am GuttenPlag_Wiki mitgewirkt hat. Dieses hat in Kombination mit den klassischen Medien maßgeblich dazu beigetragen, die vielzähligen Plagiate in der Dissertation von Herrn Guttenberg aufzudecken, was schließlich die Aberkennung seines Doktortitels bewirkt hat. Interessant dabei ist, dass es zwar inzwischen Plagiat-Software, wie Turnitin, Docol©c, PlagScan etc. gibt, diese allerdings nur zur ersten Orientierung sinnvoll ist und es nicht wirklich mit der menschlichen Leistung aufnehmen kann. D.h. die Community hat in „händischer“ Arbeit jedes einzelne Plagiat aufgedeckt – durch klassisches Googlen nach Wortphrasen etc. konnten nicht gekennzeichnete Fremdquellen entdeckt werden. Bei der Plagiat-Erkennung galt das „Vielaugenprinzip“ innerhalb der Community. Das Zusammenspiel von Netz, Tools und Community hat dabei in beeindruckender Geschwindigkeit seine Wirkung gezeigt. Innerhalb des GuttenPlag_Wikis wurden auch verschiedene Visualisierungsformen entwickelt, wie z.B. der „Barcode“ (siehe auf der Startseite des GuttenPlag_Wiki), welcher die hohe Anzahl und Dichte der Plagiate innerhalb der wissenschaftlichen Arbeit veranschaulicht. So viel sei gesagt, sogar die Hausarbeit eines Erstsemesters „durfte“ als ungenannte Fremdquelle für Guttenbergs Arbeit herhalten…
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Ein Eindruck der Tagung war für uns an mehreren Stellen, dass viele Bemühungen, Web 2.0 Tools sinnvoll in der Lehre einzusetzen, von Studierenden einfach nicht so angenommen werden wie erhofft. Man bekommt fast den Eindruck als „wären sie noch nicht soweit“. Oder ist es schlichtweg eine aktive Antihaltung – von wegen „Web 2.0 ist Freizeit und gehört nicht in die Lehre“?

soLSo | selbstorganisiertes Lernen mit Social Software – Entwicklung und Erprobung eines Fragebogeninventars
Thomas Bernhardt berichtete in seinem Vortrag von den Ergebnissen der Erprobung eines Fragebogens, welchen er mit seiner Kollegin Saskia Untiet-Kepp entwickelt hat, um zu erheben, inwieweit Social Software („E-Learning 2.0“) bereits für selbstorganisiertes Lernen genutzt wird. Diesen wendeten die Beiden auf zwei Gruppen an: die sogenannten „Bildungstwitterer“ (Bildungsexperten, die twittern) und die sogenannten „eSTUDIS“ (Studierende, welche ein Semester zuvor das Seminar „Erfolgreich Studieren mit dem Internet“ an der Uni Bremen besucht hatten). Bei beiden Gruppen wäre eine hohe Aktivität der Nutzung von Social Software in persönlichen Lernprozessen zu erwarten gewesen. Mit Fokus auf die Studierenden war spannend zu erfahren, dass diese trotz Seminarbesuch nachher im Vergleich zu vorher keinen signifikant erhöhten Einsatz von Social Software für Ihre Lernprozesse aufzeigten.
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Workshop: Web 2.0 in der akademischen Praxis: Herausforderungen und strategische Optionen
Auch wenn der Begriff „Web 2.0“ ein schon länger verbranntes Buzzword ist, habe ich (Klaus) gerne an dem Workshop teilgenommen. Allein schon weil es ein anderthalbstündiger Workshop war, der qua Zeitvorgabe mehr in die Tiefe gehen und mehr Platz für Erfahrungsaustausch bieten konnte. So wurden auch eifrig Beispiele für den Einsatz von Web 2.0 in der Lehre gesammelt und jeweils kurz erörtert. Auch der Begriff Communities of Practice ist gefallen, der öfters auf der Tagung verwendet wurde. Spannenden Input lieferte auch der Erfahrungsbericht von Stefan Cordes (CeDis), der einige Schwierigkeiten bei der Etablierung eines uniweiten Blog-Angebots (mittels WordPress MU) darstellen konnte. Der gesamte Einführungsprozess dauerte über ein Jahr, in dem Aufgaben wie Erstellung von Social Media Guidelines, Leitlinien und FAQ bewältigt werden mussten. Wichtig war, alle releavanten Personengruppen frühzeitig einzubinden: IT, Datenschutzbeauftragter (besonders aufwändig), Personalrat, zum Schluss erst Präsidium. Eine nette Anektdote war der Missbrauch eines Studis, der sich zu Beginn ein Blog „/DerPraesident“ angelegt hat. U.a. deshalb ist der Dienst nun aufgeteilt in offizielle Blogs und inoffzielle „User-Blogs“ für Studierende. Der Web 2.0 Dienst der FU Berlin wurde auf Wikis ausgebaut und wird ständig verbessert.

Forschendes Lernen: konzeptuelle Grundlagen und Potenziale digitaler Medien
Sandra Hofhues berichtete in ihrem Vortrag, wie sie zu ähnlich unerhofften Ergebnissen gekommen ist. In Ihrem Blended-Learning-Seminar sollen Studierende vermittelt bekommen, wie Forschung funktioniert, indem sie selbst an forschendes Lernen herangeführt werden, welches gekennzeichnet sei durch Problemorientierung, Offenheit und Selbstorganisation. Im Rahmen dessen haben die Studierenden (explizite) Empfehlungen für Medien und Werkzeuge im Netz bekommen, welche sie für ihre selbstorganisierten Lernprozesse während des Seminars nutzen könnten, z.B. sich für Gruppenarbeiten zu Twitter- oder Blog-Communities zusammenzuschließen oder eine Personal Learning Environment (PLE), wie Netvibes, einzurichten. Ebenfalls wurden ihnen institutseigene Informationsportale im Web, wie i-literacy oder w.e.b. Square, als Hilfestellung zur Aufgabenbearbeitung ans Herz gelegt – Aufgabe war z.B. eine Forschungsfrage zu formulieren. Die unerwarteten Ergebnisse waren, dass die Studierenden die empfohlenen Angebote nicht genutzt haben. Sie haben nach wie vor fast ausschließlich auf analoge Informationen in Bibliotheken zurückgegriffen. Auf die Fragestellung, warum dies so sei, antworteten die Studierenden u.a., dass sie nicht in dem Maße mit digitalen Angeboten zum Lernen vertraut seien (und das obwohl alle Studierenden dem Bachelorstudiengang „Medien und Kommunikation“ angehören). Sie würden eher gedruckte Quellen als glaubwürdige Quellen betrachten (und das obwohl auch die institutseigenen Informationsportale im Web von der Seminarleitung als qualitativ hochwertig empfohlen wurden). Auch wollen die Studierenden gern EINEN Ort, sprich: im Web EINE Plattform, wo alle Informationen und Angebote, die sie zum Lernen brauchen, zu finden sind. Spätestens da habe ich (Anne) mich gefragt, ob die Studierenden einfach noch nicht soweit sind, um das Potenzial von Web 2.0 Tools für das Lernen zu erspüren? Und dass der Wunsch nach EINEM Ort zwar sehr gut verständlich ist, dies doch aber nicht der Realität entspricht; gerade nicht beim forschenden Arbeiten, wo die Studierenden lernen müssen auf verschiedenste Informationsquellen zurückzugreifen und diese bewerten zu können.
>> Zum Paper von Hannah Dürnberger, Bettina Reim, Sandra Hofhues

Besseres Feedback, mehr Reflexion? – Fertigkeiten und Einstellungen Studierender zum Bloggen in Praxisprojekten; Alternativtitel: Spannungsfelder und Teufelskreise beim selbstorganisierten Lernen
Anja Gebhardt und Tobias Jenert stellten in ihrem erfrischend offenen Vortrag die Ergebnisse zum Blogeinsatz in der Ausbildung von Wirtschaftslehrenden in St. Gallen vor. Hier wurden begleitend zu mehrwöchigen Praxisprojekten, welche die angehenden Lehrer/-innen vor Ort in Schulen durchführen, Webblogs eingesetzt, um u.a. eigene Reflexion, (Peer) Feedback und eine Dokumentation des eigenen methodischen Arbeitens zu fördern. Das Führen eines Blogs war verpflichtend. Hierfür wurden den Studierenden umfangreiche Hinweise und Empfehlungen gegeben, auch wurden viel Mühen in stetiges Feedback investiert. Nichts desto trotz konnten die Studierenden scheinbar den intendierten Mehrwert für ihren Lernprozess selbst nicht verspüren und empfanden die Webblog-Arbeit „einfach nur“ als Mehrarbeit und Muss. Die Blog-Nutzung war damit emotional mehr negativ als positiv belegt. Insgesamt war die Blog-Nutzung sowohl vor als auch nach dem Webblog-Einsatz im Praxisprojekt sehr niedrig (sowohl privat als auch im Studium).  Auch hier stellt sich wieder die Frage, warum ist das so? Ein interessanter Gedanke, den die beiden Referenten aufgegriffen haben, war der, dass eine Nicht-Nutzung/ Ablehnung auch eine bewusste Aktivität für sich sein könnte – nämlich: die bewusste Ablehnung von Blog-Einsatz in der Lehre, etwas weiter gegriffen: vielleicht die bewusste Ablehnung von Web 2.0 (=Freizeit?) in der Lehre, sprich in formalen Bildungsprozessen?!
>> Zum Paper von Anja Gebhardt u. Tobias Jenert

Weitere Eindrücke…
In Zeiten von Facebook und Google+ war es nicht verwunderlich, im Bereich Bildungstechnologien auf der Tagung den Trend zu beobachten, dass Informationssuche und -angebot immer mehr basierend auf der Vernetzung von Nutzern ausgerichtet wird. iversity zum Beispiel, welches sich als hochschulübergreifende Web 2.0 -Lösung für E-Science und E-Learning begreift, beruht fundamental auf dem Vernetzungsgedanken, was sich auch in der Benutzerführung der Plattform wiederspiegeln soll. crokodil, eine Web 2.0-Plattform zur Unterstützung des selbstgesteuerten und ressourcenbasierten Lernens, organisiert Web 2.0 Lernressourcen mit ihren Beschreibungen in Ressourcennetzen. D.h. Lernressourcen stehen in Beziehung zueinander. Darauf aufbauend und unter Einbeziehung des Communitynetzes eines Lerners, können diesem die für ihn/ sie wirklich relevanten und auch vertrauenswürdigen Lernressourcen angeboten werden. Auch q-online, die Online Informations- und Qualifizierungsplattform im Handwerksbereich, setzt auf „collaborative filter“, also Filtertechniken und Empfehlungssysteme, die Nutzerdaten und -aktivitäten eines Lerners bei der Generierung des Lernangebotes mit einbeziehen.

Dies als ein kleiner Einblick in unsere erlebte Fachtagung der WissensGemeinschaften 2011. Wir haben wieder einiges dazu gelernt, neue Gedanken aufgenommen, neue Kontakte geknüpft und konnten uns mit anderen austauschen, was oftmals das Wertvollste an einer solchen Tagung ist. Und weil dies so ist, haben wir auch nochmal den expliziten Wunsch, in Zukunft mehr Raum für Diskussionen zu lassen, der streckenweise recht knapp bemessen war. Allgemein sollte es mehr Platz für Erfahrungsaustausch geben, um die kostbare Präsenzzeit möglichst gut nutzen zu können – was wir auch auf dem Wunschbaum geäußert haben. Ins gleiche Horn stößt auch die Unterschriften-Sammlung für die Petition GMW-Tagungsband digital vor der Tagung von Beat Döbeli Honegger.
Wir danken den Veranstaltern und Teilnehmern! Wir hatten eine gute Zeit in Dresden!

Wer nicht dabei war und trotzdem gern die Tagung nachvollziehen möchte, dem empfehlen wir:

Weitere Berichte zur WissensGemeinschaften 2011 (neueste zuerst):

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